Leseprobe:
Vulkan
2152 terrestrischer Zeit
Sonderbotschafterin V’Lar blickte
aus dem Fenster in den klaren dunkelblauen Himmel hinaus. Ihr Büro
lag in einem der fragil anmutenden Türme im Verwaltungsbereich
von Shi’kahr. Die Türme waren mit gläsern wirkenden
Brücken und Strebepfeilern miteinander verbunden. Überall
herrschten goldene, grüne und hellblaue Töne vor, die miteinander
verschmolzen und eine Symbiose bildeten. Sie repräsentierten
die hehrsten Prinzipien der Vulkanier: Rationalität, Schönheit
und Ordnung.
Die Scheiben der Räume waren polarisiert, um das Sonnenlicht
zu filtern. Kunst und Wissenschaft bilden eine harmonische Einheit.
V‘Lars Gedanken wurden unterbrochen, als das Interkom Signaltöne
von sich gab. Die Botschafterin seufzte. Man gönnte ihr nicht
einmal einige Minuten der Kontemplation vor Arbeitsbeginn. Sie betätigte
einen Sensor auf ihrem Multifunktionsarmband. Auch dieses war nach
den Prinzipien ihres Volkes eine Mischung aus Kunst und Wissenschaft.
Oberflächlich betrachtet glich es einem wunderschönen
Schmuckstück. Aber das war eben nur die halbe Wahrheit. Wie so
vieles auf Vulkan.
„Botschafterin, Turan möchte Sie sprechen. Zwar hat er
keinen Termin, doch er sagt es sei dringend“, die Stimme der
Sekretärin, die während V‘Lars häufiger Abwesenheit
das Büro verwaltete, klang wie immer emotionslos und selbstsicher.
„Danke, T’Lora. Schicken Sie ihn herein.“
Die Tür öffnete sich. Ein recht kleinwüchsiger zur
Fülle neigender Mann in mittleren Jahren trat ein. Er schwitzte
bereits am frühen Morgen. Alles Punkte, die ihn nicht als idealen
Vulkanier erscheinen ließen, aber die Äußerlichkeit
täuschte. Er war zweifellos der beste Abwehrchef, den der V’Shar
seit langer Zeit hervorgebracht hatte. Trotz der Katastrophe auf
P’Jem. Aber dafür waren die Erdenmenschen und T‘Pol
verantwortlich. Immerhin hatte die Besatzung der Enterprise ihren
Fehler wieder bereinigt. Ihre Aktionen gegen die Mazar-Kampfschiffe
waren trotz Unterlegenheit tapfer und genial gewesen.
Nein, sie trug ihnen nichts nach. Schließlich waren sie in
vulkanischen Augen ein jugendliches Volk. Trotzdem waren sie gefährlich.
Jonathan Archer war das beste Beispiel für das Potential der
Erdenmenschen.
Ihr Bericht hatte in den Zentren der Macht wie eine Bombe eingeschlagen.
Die vulkanische Schwäche war nicht mehr alleine ihren Soziowissenschaftler
bekannt. Es ging nicht um Technologie, darin waren sie in der bekannten
Galaxis immer noch ohne Konkurrenz. Es ging um viel mehr..
V‘Lar wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Turan zu. Ein Mann
wie er war in der heutigen Zeit wichtiger denn je. Denn dieser galaktische
Sektor stand kurz vor einer Zeitenwende. Die Geburtswehen eines neuen
Zeitalters schickten ihre Schatten voraus. Und die Vulkanier durften
diese neue Zeit nicht verschlafen, andernfalls würden sie bald
in der Bedeutungslosigkeit versinken.
„Danke, dass Sie Zeit für mich haben, Botschafterin“,
wie üblich kam Turan gleich zur Sache und vergaß jede Diplomatie.
Er war ein Emporkömmling aus einer unterprivilegierten Familie.
Einer jener Vulkanier dessen einst widerspenstiges Temperament nur
in einem speziellen Erziehungsheim gebändigt wurde.
Man konnte ihm die Logik nicht absprechen. Aber immer wieder brach
sich Emotionales seine Bahn. Der V’Shar rekrutierte ihre Mitglieder
hauptsächlich aus dieser Gruppe von Außenseitern. Da die
meisten T’Khasi überzeugte Pazifisten waren, brauchte die
Regierung diese Gruppe von Vulkanier, die nicht dem Ideal entsprachen.
Immerhin akzeptierten alle diese oft noch emotional reagierenden Frauen
und Männer Surak. Sein Weg war ihr Ziel.
„Wenn Sie ohne Anmeldung zu mir kommen, dann muss die Angelegenheit
wichtig sein.“
„Das ist sie in der Tat.“
„Bitte setzen Sie sich, Turan“, V’Lar deutete auf
einen Stuhl in der Ecke des spartanisch eingerichteten Büros.
Alles war auf Funktionalität ausgerichtet. Trotzdem war die Innenausstattung
für das Auge angenehm. Auch hier regierten die Prinzipien der
Logik und der Harmonie.
Der Geheimdienstchef setzte sich. Er seufzte während er sich
im Polster niederließ. Die Botschafterin nahm im vorderen Stuhl
Platz.
„Bitte bedienen Sie sich“, die Gastgeberin deutete auf
die Kristallkaraffe auf dem Tisch, neben der einige umgestülpten
Gläser standen.
„Danke“, der Vulkanier bediente sich und genoss das kühle
Wasser vom Berg Selaya, dessen Massiv sie von ihrem Fenster aus sehen
konnten. „Ah, das tut gut“, er stellte das leere Glas
auf den Tisch und wischte sich mit einem Tuch, das er seiner grauen
Uniform entnahm, den Schweiß von der Stirn.
„Sie sollten mehr Sport treiben, Turan.“
Aber der V’Shar-Chef lächelte nur. Allein diese offene
Geste ließ erkennen, dass er auf dem Weg des Surak noch nicht
sehr weit fortgeschritten war, doch seine Treue zu dem offiziellen
Vulkan war längst sprichwörtlich. Neben seinen genialen
Fähigkeiten auf seinem Spezialgebiet galt er als unbestechlich.
Er stand als Emporkömmling außerhalb der alten und großen
Familien und konnte sie alle gegeneinander ausspielen. Der Turan
brauchte keine Clan-Rücksichten zu nehmen.
„Ein menschlicher Staatsmann, sagte einmal: Sport ist Mord.
Ein mehr als interessantes Volk, diese Terraner. Sie werden allerdings
langsam zu einem wirklichen Problem.“
„Sind sie zu mir gekommen, um über den Aufbruch der Menschen
zu den Sternen mit mir zu sprechen?“ V’Lar hob die Augenbraue
und zeigte damit ihre Missbilligung.
„Im Gegensatz zu Ihnen, Turan, bildete ich mir eine positivere
Meinung über die Erdhumanoiden.“
„Ich habe nicht gesagt, dass ich sie verachte, Botschafterin.
Ganz im Gegenteil. Aber ich muss die mehrheitlich festgelegte Regierungsdoktrin
unterstützen und notfalls durchsetzen. Im Hohen Rat ist man
sich uneins über die langsam flügge werdenden Menschen.
Ihr Bericht tat das übrige. Wie kann ein einfacher menschlicher
Captain zu Schlüssen über unser Volk kommen, die nur die
besten Soziologen des Wissenschaftsrates errechneten? Sie besaßen
dabei die Hilfe von Rechnern, von der die Menschheit nur träumt?
Ich befürchte wir werden sie bald nicht mehr kontrollieren können.
Es sei, denn die Regierung gibt mir freie Hand in die Meinungsbildung
der Erdlinge einzugreifen. Auch dann gelingt es uns allerhöchstens
noch eine ihrer Generationen lang, sie vom Aufbruch zu den Sternen
abzuhalten. Sie haben die Angewohnheit andere Völker entweder
zu Feinden oder zu Freunden zu machen. Allerdings bin ich nicht zu
Ihnen wegen diesem Problem gekommen. Wie weit ist ihre Arbeit im Fall
Mazar?“
„Die Anklage gegen subversive und korrupte Elemente in der
Regierung steht. Die neue demokratisch vom Volke gewählte Regierung
wird sie übernehmen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft
ziehen.“
„Ich verstehe. Ihre Arbeit ist getan. Ist eine persönliche
Aussage von Ihnen auf Mazar nötig?“
„Nein, denn trotz unserer Arbeit für sie, möchte die
neue Regierung vorerst nicht, dass ein Vulkanier zurückkehrt.
Die Vorbehalte eines beachtlichen Teils der Mächtigen uns gegenüber
ist groß“, antwortete V’Lar.
Turan seufzte. „Wiedereinmal. Die meisten Völker bringen
uns diese Gefühle entgegen. Der Grund liegt in unserer Andersartigkeit.“
„Sie vergessen, dass unsere wissenschaftliche Überlegenheit
ein weiterer Grund ist. Dazu kommt, dass fast kein raumfahrendes Volk
verstehen kann, wieso wir unseren technischen Vorsprung nicht in
militärische Dominanz umsetzen“, ergänzte die Botschafterin.
„Richtig. Nur unsere besonderen Lieblinge, die Erdenmenschen
scheinen dies zu verstehen. Bei diesem einstigen Kriegervolk mehr
als erstaunlich. Das Umdenken seit ihrem letzten Atomkrieg vor siebzig
Jahre scheint umfassend zu sein. Aber vielleicht ist das alles nur
eine Tünche. Wir müssen die Terraner noch weit besser erforschen.
Aber nun zu ihrem Anliegen.“
Turan referierte eine längere Zeitspanne. Sein Gehirn glich einem
Computer. Er vergaß keine Daten und Einzelheiten. Danach herrschte
einige Minuten Stille. Die Vulkanierin stand auf und ging zum Fenster.
Sie blickte einige Minuten gedankenverloren in den Himmel. Es dunkelte
langsam und T’Khut ging am Horizont auf. Einige Vulkane loderten.
War es nicht ein Symbol für die neue Zeit? Bedrohte sie wieder
das Dunkle Erbe ihres Volkes. Sollte das ‚Neue Zeitalter‘
mit der Rückkehr zu vorsurakischen Zuständen verbunden sein?
Dann der unvorstellbar schnelle Aufstieg der Erdenmenschen zu einer
potentiellen galaktischen Macht.
„Nein. Ohne Suraks Weg hätten wir uns selbst vernichtet.
Wir dürfen nicht länger zusehen, Turan. Sie haben recht.
Notfalls müssen wir Dinge tun, die wir ansonsten nicht anpacken
würden. Es geht ums Ganze.“
„Ganz meiner Meinung, Sonderbotschafterin. Wären Sie also
bereit für die Mission?“
„Ja!“
Der Geheimdienstchef seufzte. „Ah‘Ta sei Dank! Ich könnte
mir für diese Expedition niemanden geeigneteren vorstellen als
Sie. Denn nichts anderes ist es: eine gefährliche Mission mit
Expeditionscharakter. Diskutieren wir nun die Einzelheiten.“
V’Lar nickte und sie begannen mit der Feinabstimmung.
Der zweite Teil dieser ENTERPRISE-Story ist als
GdN 49 im Juni 2005 erschienen.
Impressum:
GdN #45 ist ein nichtkommerzielles Fanzine des TCE (Terranischer Club
EdeN).
GdN #45 ist im Juni 2004 erschienen.
Umfang: 92 Seiten - Auflage: 55 Exemplare - Einzelpreis: 2,60 €
plus Versand
Text: Wendelin Abt / Illustrationen: Maren Frank / Coverlayout: Christiane
Lieke
Geschichten der Nacht erscheinen in der Regel vierteljährlich;
ein Abo über 4 Ausgaben ist zum Preis von 16 € erhältlich.
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