Geschichten der Nacht # 56
"Die Hador-Saga II:
Quo vadis, Hador?
"
von
Wendelin Abt
("Sol Starwalker ")
Ein Fantasy-Roman
aus der
Welt des Onlinespiels
"World of Warcraft"
Cover & Illustrationen:
Christiane Lieke
("Wintermute")
erscheint im
Juni 2007
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Inhalt
Der zweite Teil der fantastischen Geschichte
des Hador-Prinzen Odoran. Sie beginnt an Bord eines orkischen Piratenschiffes,
des SEEDRACHEN, auf der der Hador-Prinz Sklavendienste verrichten
muss. Ihm gelingt mit anderen Hadorianern und Kul Tirasern die Flucht.
Nun wollen sie die Stadt des berüchtigten Statthalters Eubolos erobern
und scheinen auch erfolgreich zu sein, doch Orodan gerät in eine
Falle ...
Leseprobe:
In Orodans Wohnhöhle hausten etwa fünfzig Ruderer. Alle
gehörten sie zum Widerstand. In den vergangenen vier Monaten
hatten die Verschwörer die umliegenden Höhlen von etwaigen
Verrätern gesäubert und somit einen Kreis von dreihundert
Widerständlern geschaffen, die einander vertrauten. Der Rest
der Rebellen war im gesamten Höhlenwohnkomplex verteilt. Jedes
Felsenquartier war nur mit Pritschen belegt und ansonsten nicht möbliert.
Das Essen wurde an der durch ein Stahlgitter getrennten Wächterkaverne
ausgegeben. Die einzelnen Höhlen wurden von den Soldaten nicht
bewacht, da es nur einen Ausgang gab. Die Quartiere mündeten
in künstlich angelegte Gänge, die zur Wachkaverne führten.
Insgesamt gab es vier solche Anlagen, mit den dazugehörenden
Wohnhöhlen.
So konnten mit verhältnismäßig geringem Aufwand mehr
als tausend Rudersklaven bewacht werden. Auch verließen sich
die Krieger des Kerak auf ihre Spitzel. Nur hatten sie nicht mit
einem codegestützten Gegensystem des Widerstands gerechnet,
der die Verräter rasch entlarvte. Ihnen stand dann meist ein
schneller Tod bevor.
Einer seiner Männer kam sofort auf Orodan zu. Er verbeugte sich
leicht und flüsterte, so dass nur er es verstand. „Prinz!
Volderon informierte mich, dass heute der Tag des Aufstands ist.
Alle Umstände sprechen dafür. Die Schatten werden
in der Nähe des Höhlensystems eingreifen. Sie schalten
die Wachen aus und öffnen die Gittertür.“
Orodan reagierte sofort und ließ seine Unterführer zusammenkommen.
„Freunde! Heute ist der große Tag! Entweder wir sterben den Heldentod,
oder wir siegen. Es gibt keine Alternative. Wir haben vier Monate diesen Aufstand
vorbereitet. Heute sind von den vierhundert Orks oben in der Festung nur etwa
fünfzig als Notbesatzung in der Burg und etwa die gleiche Zahl hier unten
als Wächter anwesend. Der Rest ist bei der Arena, etwa eine Meile unterhalb
der Festung. Sie veranstalten heute kultische Wettkämpfe untereinander.
Wir gehen so vor, wie wir dies bereits unzählige Male besprochen haben.
Unsere Bewaffnung ist im Moment noch recht dürftig. Aber die Waffenkammern
in den Wächterquartieren und das Arsenal in der Festung reichen aus, um
eine Armee auszustatten.“
„Was ist, wenn wir den großen Überraschungsangriff erfolgreich
durchführen, aber dann die Krieger des Kerak zurückschlagen?“,
fragte Ahrim, ein hünenhafter Ruderer, der vor der Gefangennahme als kul
tirasischer Kriegerausbilder tätig gewesen war.
„Ahrim! Du bist ein großer Krieger und Ausbilder, aber gleichzeitig
auch ein Holzkopf!“
Der Prinz erntete Gelächter, und es gab viele höhnische
Zwischenrufe. Der Verspottete wurde rot, fing sich aber rasch wieder,
als er des Prinzen Blick sah.
„Wie oft muss ich es noch erzählen? Die Krieger des Kerak werden
nie die eroberte Festung einnehmen. Sie sind den offenen Kampf gewohnt, und
ihre Ausrüstung ist nur darauf ausgerichtet.“
„Das Problem wird ein anderes sein, nicht wahr Prinz?“
Orodan blickte den Gruppenführer Tulor wohlwollend an. „Genau.
Aber diesen Punkt werden wir dann nochmals erörtern, wenn es
soweit ist. Kul Tiraser! Hadoraner! Krieger! Es ist nichts mehr zu
sagen. Ihr kennt alle eure Aufgaben! Möge das Heilige Licht
oder Eure anderen Götter mit uns sein!“
Die Männer hoben ihre Fäuste, schlugen sich an die Brust.
Der Prinz von Hador lächelte still in sich hinein. Wie leicht
war es doch, den Geschundenen das Selbstvertrauen zurückzugeben,
wenn sie ein Ziel hatten.
Die Gruppenführer eilten alle in ihre Höhlen zurück,
um die Kampfgefährten und die selbst gebastelten versteckten
Waffen zu holen. Sie würden sich alle im zentralen Gang treffen.
An vielen Stellen im Quartier gab es in den nackten Höhlenwänden
heimlich Verstecke, die mit primitiven Mitteln der Felswand abgerungen
und getarnt worden waren. Hinter einem großen losen Felsstein,
direkt hinter seiner Pritsche, war eines von zehn Verstecken in der
Höhle untergebracht.
Sie holten Speere, Kurzschwerter, Dolche, Messer, Beile und sogar
Bögen mit Köchern voller Pfeile hervor. In geheimer mühevoller
Arbeit waren die Einzelteile von den Verbündeten draußen
gesammelt, hier hineingeschmuggelt und teilweise hier zusammengebaut
worden. Die Herstellung jeder Waffe, selbst jedes Pfeiles, war als
kleiner Erfolg gefeiert worden. Vier Monate Kleinarbeit sollte heute
ihren Lohn finden.
Orodan griff nach einem geschmuggelten Kurzschwert und einem Bogen
mit einem vollen Köcher. Wortlos rüsteten sie sich aus.
Manche hatten nur einen Holzknüppel oder ein Faustkeil; jedermann
war aber bereit, für die Freiheit notfalls zu sterben.
Sie blickten sich entschlossen an, nickten sich zu und eilten in
die Gänge hinaus. Nach einem genauen Zeitplan trafen sich die
dreihundert Kämpfer in ihrem Abschnitt des großen Höhlensystems,
in den Gängen vor der Wächterhöhle.
Orodan setzte sich zusammen mit einer Gruppe von harten, gut ausgebildeten
kul tirasischen und hadoranischen Kriegern an die Spitze. Entscheidend
würde sein, ob es den Schatten gelang, die Wächter
vor dem dreifachen Stahlgitter zu überrumpeln.
Fünf geben sieben, das war für sie wohl eine leichte Übung,
so hoffte der Prinz.
Orodan erreichte an der Spitze seiner dreißig Männer die
Gangbiegung, hinter der das Gitter den weiteren Weg absperrte. Sie
kamen gerade rechtzeitig, um eine perfekte Kampfschau mit ansehen
zu können: des Prinzen fünf überlebende Leibwächter
gegen die sieben Orkwächter vor dem Gittertor.
Für die unbeteiligten Zuschauer sah es so aus, als ob tatsächlich Schattenwesen die
Wächter angriffen und sie mit Füßen und Handkantenschlägen
ausschalteten.
„Prinz, du kommt zur rechten Zeit!“
Einer der Leibwächter nahm einem bewusstlosen Ork den Schlüsselbund
ab und öffnete die schwere Gittertür.
„Wir haben keine Zeit zu verlieren. Alles läuft so ab wie besprochen.
Wir helfen den anderen Wächtern in den drei anderen Kavernen, die Feinde
blitzschnell auszuschalten.“