Geschichten der Nacht # 63
"Private Eye Yuka Tan
Teil 1:
Gejagte Jägerin im All
"
von
Antje Ippensen
("Antje")
Titelbild : Christiane
Lieke
Illustrationen:
Thomas Bilat, Norbert Reichinger, Andy Schmid,
Norbert Schneider
Dezember 2009
|
|
Antje Ippensen ist den Besuchern der TCE-Homepage
bereits bekannt, denn sie gewann in diesem Frühjahr den 3. Preis
im Peter
Terrid-Gedenkstorywettbewerb.
Ihre Kurzgeschichte "Fremder als ein Traum" erschien zusammen
mit den anderen vier Siegerstories in dem Band "Mord an Bord".
Dies ist Antjes erste Veröffentlichung in unserer Reihe "Geschichten
der Nacht".
5 Kurzgeschichten ranken sich hier um
die titelgebende illustre Privatdetektivin Yuka Tan:
-
In letzter Minute
... trifft Yuka Tan einen
Toten, den sie lieber lebendig getroffen hätte, und sie begegnet
der albonischen Insektenbeschwörerin Ira Zoir, die zu ihrer
ärgsten Feindin wird.
-
Der kleine Schlaf
In
ihn fällt Yuka unfreiwillig auf der Raumstation Nekrilon und
gerät in die Hände der korrupten sadistischen Comissarin Jesikaya.
-
Etwas zu spät
Yuka
Tan nimmt den ersten gänzlich
seriösen Job ihres Lebens auf Transpluto am Institut
MODERN SPIRIT an: Sie soll vor den Schülern dort einen Vortrag
halten. Aber natürlich kommt alles ganz anders.
-
Slime II
Yuka erhält
von Ira Zoir ihr Raumschiff CELESTE zurück; doch ist das nur
eine Falle? Die Antwort enthüllt eine Dose Tomatensuppe,
und eine Horde Indianer im All geht Yuka auf den (Sch-)leim.
-
In dino veritas
Yuka
schreibt ihren eigenen Steckbrief, um sich die Zeit an Bord zu
vertreiben, während sie den Freizeitbiologen Carniol Balthasar
Lapis Dean in der Kuiper Belt Region sucht. Beide erkennen, dass
ihr totalitär angehauchtes, korruptes Sonnensystem
noch nicht reif ist für die Wahrheit, die sie entdecken.
Leseprobe:
„Keiner rührt sich von der Stelle, niemand macht eine
Bewegung!“, bellte es vom Eingang her, und wir erstarrten alle
zu grausilbrig schimmernden Wachsfiguren. Schlagartig wurde ich nüchtern.
Holy Shit.
Nicht mal die Cops waren hier so wie auf anderen, anständigen
Stationen. Auf Nekrilon hatte man es mit einer Commissarin zu tun,
die altrosa Haar besaß, und verhaftet wurde man von ihren höchst
merkwürdigen Fellwesen, die sie stets und ständig begleiteten.
Das Gesicht der Commissarin war verschleiert – bis auf die
Augen, deren Farbe mir nicht gefiel … darüber hinaus
gab es zwar auf Nekrilon keine Videoüberwachung, aber man hatte
trotzdem das unangenehme Gefühl, dass die Unordnungshüter
immer ziemlich genau wussten, was alles lief.
Wir wurden durchsucht; ich kam so ziemlich als letzte an die Reihe.
„Von dir habe ich schon gehört, Yuka Tan“, knurrte die Commissarin,
was wie ein dumpfer Fluch klang. Doch da keinerlei Drogen bei mir gefunden
wurden, ließ sie rasch von mir ab.
Kaum war die Razzia vorüber, sah ich mich von drei recht bedrohlichen
Gestalten umringt: silberäugigen Wolfsgesichtern vom Argentum,
dem synthetischen Mond des künstlichen Planeten Türkis:
Sie waren eine dort willkürlich oder durch Pfusch entstandene
wilde Mutation, humanoid, aber wölfisch … nun, auf Argentum
lief ja ohnehin so einiges aus dem Ruder. Wolfsgesichter schienen
nur einen einzigen Daseinszweck zu besitzen: die Dreckarbeit für
Drogendealer zu machen.
„Wo ist der Stoff?“, fauchte einer.
„Keine Ahnung, wovon du sprichst, Canis-Larve“, sagte ich und nickte
Miry zu. Sie jedoch blieb starr, war auf einmal ganz verändert.
Innerhalb von Sekunden waren die Wölfe und ich in eine prima
Schlägerei verwickelt, die ich jedoch gern vermieden hätte,
um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen als ohnehin schon. Miry schien
der gleichen Meinung zu sein; ich fing ihren düsteren Blick
auf und sah die unmissverständliche Geste, mit der sie sich über
die Kehle fuhr. Ihr finsteres Grinsen dabei allerdings irritierte
mich sehr, doch ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken.
Die drei Wölflinge lagen am Boden, als die Cops das Café EUROPA
stürmten – diesmal ohne ihre Chefin.
Ich keuchte noch von der Anstrengung des Kampfes und hob die Hände,
obgleich ich diese Wesen – sie glichen noch am ehesten pelzigen,
aufrecht gehenden Raupen von 1,60 m Größe – nicht
recht ernst nehmen konnte. Die Deputy-Sterne, die in ihrem rosa Fell
klebten, wirkten besonders lächerlich. Sie packten mich, und
sogleich verging mir mein leicht abfälliges Lächeln, denn
sie fesselten mir die Hände auf den Rücken, und zwar mit
intelligenten Plastikriemen. Ich fluchte innerlich. Diese verdammten
Dinger kannte ich; sie hatten die chipgesteuerte Eigenschaft, sich
sofort fester zu schnüren, sobald ein erhöhter Puls, eine
beschleunigte Herzfrequenz oder auch eine veränderte Hautoberflächenspannung
des Gefesselten darauf hinwies, dass er „fluchtaktiv“ werden
wollte. Noch schlimmer wurde es, wenn man besonders schlau sein wollte,
denn auf bestimmte Gehirnwellen reagierten die Fesseln womöglich
noch fieser. Ich unterdrückte gewaltsam ein Zittern, als ich
an haarfeine, vergiftete Dornen denken musste, die sich in weiche
Haut bohrten … jetzt lieber gar nicht denken!
Eigentlich war ich nach Nekrilon gekommen, um kurz zu verschnaufen – eine
beknackte Idee offenbar. Das übermäßig brutale Vorgehen
der Cops setzte jedoch meine sämtlichen Alarmglöckchen
in Gang, und ich bereitete mich widerwillig darauf vor, ein paar
mentale Tricks anzuwenden.
Zu meinem Leidwesen wusste ich über die Commissarin nicht sehr
viel – nur, dass sie unberechenbar war.
Als ich ihr gegenübersaß, erinnerte ich mich plötzlich
an meinen Abstecher nach Papua-Neuguinea, damals auf der guten alten
Terra; dort hatte ich die wildesten Wilden kennengelernt, die man
sich nur vorstellen konnte.
Ich war allein mit ihr. Die Polizeichefin von Nekrilon saß höchst
bieder in ihrem Fauteuil; ihre zweifellos hübschen Beine waren
meinem Blick entzogen durch den wuchtigen Schreibtisch aus Eichenimitat,
der sich vor ihr aufbaute.
Das Büro der nekrilonesischen Chefin war ein hypermoderner Glaswürfel,
von außen nicht einsehbar, aber nach draußen ein einziges
forschendes Auge … ich drehte leicht den Kopf, um mir die
in den Gängen umherwuselnden Fellwesen anzusehen, wurde von
der Commissarin scharf zurechtgewiesen und sackte gehorsam in mich
zusammen, schaute wiederum nur sie an.
Die Frau trug ein eher braves Pseudoleinenkostüm von unbestimmbarer
Farbe, und auch das Altrosa ihrer Haare war nicht unbedingt die schärfste
Farbe des Sonnensystems … und doch: Ihr fehlte nur der Knochen
durch die Nase, um sie komplett zur blutdürstigen Papua-Häuptlingsfrau
zu machen. Der Eindruck verstärkte sich noch, als sie ihren
Gesichtsschleier abnahm und ihr kantiges, leicht archaisches Antlitz
zeigte.
Ich verdrängte diese Assoziationen und konzentrierte mich auf
die allgemein in der Luft liegende Unberechenbarkeit.
Höchst normal-bürokratisch beschäftigte sich die Commissarin
mit ihrem Holo-Computer, und ich hockte wartend in meiner Sitzschale,
die so geformt war, dass sie meinen Körperschwerpunkt beharrlich
an den nekrilonischen Boden nagelte. Das machte ein plötzliches
Aufspringen praktisch unmöglich.
Plötzlich löste sich der Holo-PC auf in sprühende
Sternchen, und das Verhör begann.
Zuallererst lobte die Commissarin mit frostiger Stimme meinen Sieg über
die drei Wolfsgesichter.
„Nicht leicht, diese Tiere niederzuschlagen“, sagte sie, die laut
Messingklotz auf ihrem Schreibtisch JESIKAYA hieß. Ich bemerkte erst
jetzt, dass ihre Augen die Färbung rohen Fleisches besaßen und sie
mir deshalb nicht gefielen.
„Und gleich drei auf einmal.“
„Och“, sagte ich; das war alles, was mir dazu einfiel, denn ich
war mit empatho-aktiven Befehlen an mich selbst beschäftigt. In einem
noch verschlossenen Teil meines Gemütes konnte ich jedoch die Furcht wachsen
hören wie ein schmarotzendes Unkraut auf Titan, das sich im Schutze der
Methan-Nacht rasend schnell ausbreitet. Diese Augen … ich wollte hier
weg. In meinem Beruf musst du einfach wissen, wann es Zeit ist zu flitzen.
„Die Mutanten sind noch immer recht ungehalten. Toben in ihren Zellen
wie bekloppt. Du hast versucht sie zu linken, oder?“
„Häh?“, sagte ich. Zweimal zwei ist … ohhh, ist das
schwer ich weiß es nicht ich nicht ich …
Sie starrte mich an. „Hör mir gut zu, Private Eye. Wenn
hier eine neue Droge entwickelt wird, dann will ich es sofort erfahren!
Du bist in diese Sache verwickelt und damit in einer miesen Lage,
falls du das noch nicht bemerkt haben solltest.“
„Huh?“, machte ich. Sonne Spiegelei, Mond grüner Käse,
eins plus eins macht siebenundfünfzigeinhalb, hurra oje!
„Du könntest mir einen kleinen Gefallen erweisen, und die Sache
sieht dann gleich viel besser für dich aus.“
„Ähm?“ Ich lächelte sie sanft und blöde an. Na endlich!
Die beinahe narrensicheren Fesseln reagierten auf meine albernen Mental-Signale
und lockerten sich verwirrt. Was wieder mal bewies, dass all diese hübschen
kleinen Kontroll-Erfindungen ebenso leicht aus der Fassung zu bringen waren
wie irgendein schlichtes Elektronengehirn. Denn mit dem Unerwarteten rechneten
sie nicht, weil es keine Zahl besaß.
Unauffällig zog ich meine Gelenke aus den Riemen, ließ die
Hände aber auf dem Rücken und fummelte an meinem linken
Arm herum, während ich schwerfällig-hölzern ein paar
Worte zu formen versuchte.
„Ich versteh nicht, was Sie meinen, Ma’am. Die Sache sieht doch
schon altrosa für mich aus.“ Doch damit hatte ich es übertrieben.
Das merkwürdig dreieckige Gesicht Jesikayas verzog sich zu einem lauernden
Lächeln.
„Ach so ist das“, sagte sie ohne jede Betonung.
Aus meiner leise vor sich hinbrodelnden Furcht schoss eine grelle
Panikflamme hervor – hastig versuchte ich, mir die Dinger wieder überzustreifen.
Vergebens. Zu spät. Ein leichtes Beben wie Gänsehaut durchlief
das gesamte Innere der Raumstation, es machte Klick! – und
schon lagen sie wie tote Krebsscheren am Boden: die Fesseln.
„Hm hm“, räusperte sich die Commissarin; ihre starken Augenbrauen
zogen sich sardonisch in die Höhe.
Sie war unglaublich schnell.
Ich fand nie heraus, wie sie es fertigbrachte, so blitzartig auf
mich loszuspringen. Es war, als sei da kein Schreibtisch in nachgeahmter
Eiche zwischen ihr und mir.
Sie riss mich in die Höhe, verpasste mir als erstes eine Ohrfeige,
die mir das Wasser in die Augen trieb, und packte dann meine rechte
Faust.
„Öffnen“, forderte sie, und ich gehorchte mit zusammengekniffenen
Lidern.
Sie nahm mir die beiden winzigen Nebelgaskugeln ab. In sich hineinlachend,
betätigte sie eine stumme Alarmklingel an ihrem ID-Armband und
meinte: „Schlau und dumm zugleich. – Hast du wirklich
geglaubt, du könntest Nekrilon ohne meine Erlaubnis verlassen?“
„Unmögliche Dinge tu ich besonders gern“, antwortete ich,
noch immer mit geschlossenen Augen. Ich hatte die erste Runde verloren und
wusste das auch ganz genau. Als ich die Augen wieder öffnete und flüchtig über
meine Schulter schaute, bereute ich das sogleich.
Ein fellbedeckter Hilfssheriff kam herein. Ohne jede Vorwarnung trat
er mir in die Kniekehlen, so dass ich zu Boden ging.
„Die sind praktisch, die Kerlchen“, sagte ich, ein Ächzen
mühsam unterdrückend. „Gut dressiert, und noch dazu spart man
die Kosten für Uniformen.“
Nachdenklich sah die Commissarin auf mich herab. „Dich müssen
wir wohl mal ganz gründlich untersuchen, wie? Nerven, Blutbahnen,
Knochen und so weiter? Denn gefilzt wurdest du, und da hätte
meine Mitarbeiter diese kleinen Spielzeuge ja wohl finden müssen.“ Sie
warf die Nebelbälle hoch und fing sie geschickt wieder auf.
Sie hatte ja so Recht. Ich schwieg.
Jesikayas Sieg machte sie redselig, das war immer so bei solchen
Leuten. „Aber erst einmal gilt es, keine Zeit zu verschwenden“,
fuhr sie fort. „Was mache ich also mit dir? Deine Hinterhältigkeit
lässt mich vermuten, dass du auf keinen Fall freiwillig kooperieren
willst. Erst die Schlägerei, dann der gewalttätige Ausbruchsversuch … und
wer weiß, was noch dazukommen wird, nicht wahr? Dein Sündenregister
genügt auf jeden Fall, um dich erstmal einzubuchten.“ Sie
grinste sadistisch. „Vielleicht stecke ich dich in die gleiche
Zelle wie unsere wölfischen Gäste. Wie wäre das, hm?
Die würden sich riesig freuen, dich wiederzusehen.“
Daran zweifelte ich nicht. Ich biss die Zähne zusammen und spürte,
wie meine Furcht (insbesondere die vor einer medizinischen Untersuchung)
einem kalten Zorn wich. Ich konnte wieder klar denken und kombinieren.
„Nun“, sagte die Commissarin, „zunächst werde ich jedweden
weiteren Fluchtversuch deinerseits unterbinden und dich zum Reden bringen.
Am allerbesten erfüllen da wohl ganz altertümliche, primitive Hilfsmittel
ihren Zweck.“
Sie nickte ihrem Hilfssheriff zu. „Teddy, gib ihr eine Abreibung.“
„Teddy“, diesen Namen fand ich ja höchst passend … doch
zunächst ging all mein Denken unter im Schmerz, denn mit einem tatsächlich
höchst altmodischen Gummiknüppel schlug mich das Fellwesen nach allen
Regeln der Kunst zusammen. Ich konnte mich nicht schützen; Teddy war überaus
begabt.
„Du magst meine Vorgehensweise zu hart finden, und üblicherweise
verwenden wir auf Nekrilon Wahrheitsdrogen und andere subtile Maßnahmen“,
sagte Jesikaya in mein Röcheln hinein. Sie saß jetzt auf dem Schreibtisch,
um bessere Sicht auf mich zu haben, wie ich mich am Boden unter den Schlägen
wand, und betrachtete mich mit ihren fleischfarbenen Augen. „Aber du
mit deinen nicht-terranischen Vorfahren, du bist so furchtbar schlau, Yuka,
dass du vermutlich alle psycho-chemischen Gifte im Nu in Endorphine verwandelst.
Und in ein hyperintelligentes Kraftfeld kannst du dich vermutlich auf empathisch-hypnotische
Weise hineinversetzen und ihm einreden, es sei eine Steckrübe.“
Sie schmeichelte mir, aber das war nicht sehr tröstlich. Ich
litt wie ein Tier und vermochte mich nicht zu wehren. Das Geräusch
der auf mein Fleisch klatschenden Schläge war für meine
sensiblen Sinne beinahe schlimmer als die physische Pein; alle Empathen
haben dieses Handicap.
„Also müssen wir dich“, fuhr die abscheuliche Frau seelenruhig
fort, „auch auf konventionelle Weise fesseln.“ Und sie förderte
aus den Tiefen einer Schreibtischschublade einen rostig-klirrenden Schrecken
mit Halsband hervor. So etwas hatte ich zuletzt in Altrussland gesehen, und
ich hatte mich glücklich geschätzt, nicht damit traktiert worden
zu sein, nicht einmal bei meiner Abschiebung.
Unter Teddys festen Griffen bäumte ich mich auf, was mir aber überhaupt
nichts nützte. Plötzlich jedoch betrat ein weiteres Fellwesen
hastig das Büro, wuselte auf die Commissarin zu und flüsterte
ihr etwas ins Ohr. Da wurde sie ebenfalls sehr hektisch, winkte Teddy
heran, und nach einem kurzen, heftigen, aber mir unverständlichen
Wortwechsel zwischen ihr und ihm (er machte offenbar einen anderen
Vorschlag) wurde ich abermals von ihm gepackt, fortgeschleift und
ins Vorzimmer geworfen.
Ich versank in einen winzigkleinen schwarzen Schlaf.